Die Geschichte des Rads
Nicht viele Ereignisse hatten einen so nachhaltigen Einfluss auf die weitere Geschichte der Menschheit wie die Erfindung des Rads. Bis heute ist nicht gesichert, welche Kultur als erste eine kreisrunde Scheibe auf eine Stange steckte und somit das erste, primitive Rad erfand, wahrscheinlich aber kamen rund um die Welt mehrere Völker zeitgleich auf die Idee, statt der bisherigen primitiven Transportschlitten und Schleifen einen Wagen mit Rädern zu verwenden. Was diese Erfindung so besonders macht, ist, dass es hier kein direktes Vorbild in der Natur gab. Anders als bei anderen Werkzeugen, die die Menschen mehr oder weniger nach Vorbildern fertigten, ist das Rad eine Erfindung, die logisches Denken und Erfahrungswerte voraussetzte.
Vom Wirtel zum Streitwagen
Bevor Räder zu Transportzwecken auf Karren montiert wurden, gab es schon Werkzeuge, die mit kreisrunden Scheiben bestückt waren, wie zum Beispiel die Töpferscheibe, von der oft angenommen wird, sie wäre der Vorläufer des Rades. Noch älter ist allerdings der sogenannte Wirtel. Diese runde Scheibe wurde auf eine Spindel aufgesteckt und hielt sie beim Aufwickeln des gesponnenen Garns in Bewegung. Steckt man einen zweiten Wirtel auf die Spindel, erhält man eigentlich schon die Urform des Rades auf einer Achse. Vielleicht waren also spielende Kinder die ersten Menschen, die das Prinzip des Rades entdeckt hatten, und ein Beobachter musste dann nur mehr das Spielzeug in größerer Form nachbauen.
In allen Kulturen entwickelten sich diese Neuerungen ungefähr zu gleichen Zeit. Einzig im präkolumbianischen Amerika war das Rad zwar bekannt, allerdings nicht zum Transport: Hier fanden sich zwar teils hochentwickelte Zahnräder, doch keine Wagen. Der Grund dafür ist so banal wie einleuchtend – da keine Zugtiere vorhanden waren, war ein Wagen fast nutzlos.
Wurden in Europa und Asien ursprünglich noch schwere Holzräder verwendet, die mit primitiven Steinwerkzeugen hergestellt wurden, fanden sich doch sehr bald Weiterentwicklungen. So wurde zum Beispiel recht früh damit experimentiert, das Gewicht der schweren Holzräder durch Aushöhlungen zu vermindern, und im Orient erfand man ca. 2000 vor Christi das erste Speichenrad. Auch hier war Gewichtsreduktion gefragt, daher baute man hauptsächlich zweirädrige Karren, mit denen Waren transportiert werden konnten. Später wurden diese zu noch leichteren und schnelleren Streitwägen weiterentwickelt wurden.
Die Speichen der ersten weiterentwickelten Räder wurden aus Bronze gefertigt, später allerdings aus Gründen der Gewichtsreduktion wieder meist aus metallbeschlagenem Holz. Metallspeichen kamen erst wieder im 19. Jahrhundert zum Einsatz, da höheres Gewicht und Geschwindigkeiten wie zum Beispiel im Eisenbahnverkehr diese erforderlich machten.
Räder aus Holz, Metall und Gummi
Von den primitiven Holzrädern zu präzisen, im Motorsport eingesetzten Sportreifen, scheint es ein langer Weg zu sein, und doch sind die Grundlagen stets dieselben geblieben. Der ausschlaggebende Faktor für die Wahl des Materials ist nämlich immer der Untergrund, auf dem das Rad laufen soll. Zu Zeiten, in denen hauptsächlich auf Feldwegen oder gepflasterten Straßen gefahren wurde, waren Speichenräder aus Stahl, aufgesteckt auf einen Holzkranz, optimal, für die ersten Kraftfahrzeuge kamen dann Hartgummireifen auf einem Holz- oder Gusseisenkranz zum Einsatz.
Diese Art von Reifen wurde noch recht lange für Lastkraftwagen verwendet. Mit dem Aufkommen von Beton- und Asphaltstraßen wurden die Fahrzeuge mit luftgefüllten Gummireifen auf Felgen ausgestattet. Andere Verkehrsmittel erforderten noch weitere technische Entwicklungen. So sind zum Beispiel Schienenfahrzeuge mit einer völlig anderen Art von Rädern ausgestattet – in den Anfängen der Eisenbahnzeit gab es noch Räder, die teilweise aus sehr hartem Holz gebaut wurden, später wurde dann nur noch Stahl verwendet. Eine Spezialform der Eisenbahnräder wurde Mitte des 19. Jahrhunderts mit dem nahtlosen Radreifen erfunden, der sehr widerstandsfähig und extrem fest am Radkörper befestigt wurde. Damit konnten Züge, ohne die Räder tauschen zu müssen, bis zu 600.000 km weit fahren.
Für Karussells, Seilbahnen oder Industriefahrzeuge werden heute noch Hartgummireifen, aufgezogen auf Stahlräder, verwendet, und Einkaufswagen wie Möbelrollen fahren auf Plastikrädern. Und wer heute ein Fahrrad fährt, tut dies zum Einen auf Luftreifen und bedient sich zum anderen des Prinzips des sogenannten „Radsturzes“, der nichts anderes als die jeweilige Neigung des Rades zum Boden bezeichnet, dessen Entdeckung die Entwicklung von leichten Drahtspeichen ermöglichte.
Vielfältige Einsatzgebiete für Räder
Nicht nur zum Transport, sondern auch in der Mechanik wird das Rad vielseitig eingesetzt. Von den ersten Einsätzen des Rades zur Arbeitserleichterung, zum Beispiel der einfachen Töpferscheibe oder dem Schöpfrad, entwickelten sich im Laufe der Zeit immer kompliziertere Verwendungsmöglichkeiten für das Rad. Zum einen werden Räder zur Kraftumlenkung eingesetzt, deren Einsatz vom Flaschenzug bis zum Personenlift reicht, zum Anderen als Überträger von Drehmomenten. Beispiele hierfür sind Zahnräder, Riemenscheiben und Kettenräder.
Zentrifugen, Propeller, Schöpf- und Schaufelrad haben den Zweck, Arbeit zu verrichten, und Räder, die Drehmoment nicht übertragen, sondern erzeugen, sind beispielsweise Mühlräder, Windräder oder die Laufräder von Dampf- und Gasturbinen. Als so genannte Schwungräder fungieren Räder als Energiespeicher, beispielsweise beim Spinnrad oder alten Nähmaschinen mit Fußantrieb. Ein besonderes Einsatzgebiet des Schwungrades war der Versuch, einen Bus umweltfreundlich anzutreiben. Der sogenannte Gyrobus, in den 50er Jahren in der Schweiz als Alternative zu Dieselfahrzeugen entwickelt, konnte sich jedoch nicht durchsetzen. Trotz der Vorteile wie geringer Schadstoffausstoß und leiser Betriebsgeschwindigkeit wurde der Bau, wohl auch wegen der oft nicht vorteilhaften Fahreigenschaften und des großen Gewichts, nach 19 Modellen eingestellt.
Lieblingsspielzeug großer Kinder: Das Auto
Das für den durchschnittlichen Mitteleuropäer wohl offensichtlichste, manchmal auch wichtigste Einsatzgebiet des Rades ist aber wohl der Autoreifen. Ein schnittiger Sportwagen wird nicht dieselben Reifen brauchen wie die gemütliche Familienkutsche, und große Traktoren- oder LKW-Reifen sind nach anderen Kriterien hergestellt als sogenannte Slicks für den Motorsport.
Autoreifen beeinflussen das Fahrverhalten enorm. Je nach Beschaffenheit des Untergrunds ist ein anderer Reifen optimal, so dass mittlerweile eine Unzahl von Autoreifen zur Verfügung steht. Hauptsächlich werden allerdings Sommer,- Winter,- oder Ganzjahresreifen hergestellt und verkauft. Die Unterschiede liegen in der verwendeten Gummimischung. Während Sommerreifen aus Material besteht, das bei hohen Temperaturen nicht weich wird, höhere Geschwindigkeiten und wenig Abnutzung verspricht, werden für Winterreifen Mischungen verwendet, die bei niedrigen Temperaturen nicht stark verhärten und so eine stabile und sichere Kraftübertragung auf den Untergrund ermöglichen. Wer in einem Land lebt, in dem keine großen Temperaturunterschiede zwischen den Jahreszeiten auszumachen sind, wird Ganzjahresreifen verwenden können, die die positiven Eigenschaften der Sommer- und Winterreifen in sich vereinen.
Skurrile, Merkwürdiges und ausgefallene Radkonstruktionen
Viele Erfindungen, die sich um das Rad drehen, sind wenig bekannt und zudem manchmal recht merkwürdig anmutend. Eine ganz spezielle Radkonstruktion ist das sogenannte Omniwheel oder Allseitenrad, das seinen Einsatz zum Beispiel in der Königsdisziplin Fußball findet – gespielt allerdings von Robotern. Die Omniwheels sind Räder, die mit Hilfsrädern, deren Drehachsen im rechten Winkel zur Drehachse des Hauptrades liegen, ausgestattet sind. Wird das Hauptrad nun angetrieben, blockieren die Hilfsräder und dienen als Lauffläche, wird die Richtung geändert, drehen sich die Hilfsräder und minimieren so den Reibungswiderstand. Damit wird eine schnelle Fortbewegung in nahezu alle Richtungen ermöglicht – Grundvoraussetzung für die sportlichen Fußballroboter, um das Match für sich zu entscheiden.
Ein anderes skurriles Rad ist das Mecanum- oder Ilonrad. Auf diesem sind Rollen, meist im Winkel von 45 Grad, angebracht, die sich unabhängig vom Rad drehen können und ebenfalls für Bewegung in alle Richtungen sorgen. Eingesetzt wird diese 1973 von einem schwedischen Ingenieur gemachte Erfindung heute zum Beispiel zum Transport von Lasten auf Schiffen, oder auch bei Gabelstaplern, die sich damit auch auf engstem Raum wenden lassen können.
Auch wenn sich jeder schon einmal auf solchen fortbewegt hat, ist kaum bekannt, dass die Räder von Bürosesseln einen eigenen Namen haben – Castorräder bestehen aus einer oder zwei drehbaren Rollen, die mit einer zusätzlichen Drehachse in vertikaler Richtung mit dem zu transportierenden Gegenstand verbunden sind. Die unscheinbaren schwarzen Plastikräder sind in Wirklichkeit recht ausgeklügelte Erfindungen, die, wenn sie schlecht verarbeitet oder in der Größe falsch gewählt wurden, jedem Bürostuhlbesitzer schon einmal das Leben schwer gemacht haben. Sind sie nämlich beispielsweise zu klein, tritt nicht der gewünschte Effekt, nämlich die automatische Neuausrichtung bei Richtungswechsel ein, sondern ein unangenehmer Rollwiderstand. Das Hebelgesetz sorgt dann dafür, dass trotz der Räder der Bürosessel schwerer zu bewegen ist, als wenn man ihn einfach verschieben würde.
Da würde man sich, trotz all der technischen Möglichkeiten, die dank und durch das Rad erfunden wurden, in die gute alte Natur zurückwünschen. Dort funktioniert nämlich das Prinzip der dauerhaften Rotationsbewegung perfekt – unter dem Mikroskop kann das einzige in der Natur vorkommende rotierende Gelenk bei den Geißeltierchen beobachtet werden. Garantiert ausfallsicher!